6. Die Spinne im Netz

Auf einer Reise durchs Languedoc, den Südwesten Frankreichs, kam ich auch nach Minerve. Diese ehemalige Katharerstadt liegt auf einem Bergrücken am Südrand des Zentralmassives. Von den umliegenden Bergen aus betrachtet, scheint es, als würden die Flusstäler, die Straßen und Wege, die Felder und Baumreihen alle auf diesen Ort hin führen und ihn mit seiner Umgebung verknüpfen. Auch wer den Ort noch nicht sieht, die Linien der Landschaft führen seinen Blick zum Ort hin. In diesem Landschaftsnetz erschien mir das Städtchen wie eine Spinne in ihrem Netz (die Minerver mögen mir diesen Vergleich verzeihen).
Aus allerfeinsten, kaum sichtbaren Fäden spinnt die Spinne ihr Netz in die Welt hinein. Diese Fäden gehen von ihr hinaus in die Welt und führen zugleich zu ihr hin, zeigen ihren Platz in der Welt. Über die Fäden ihres Netzes sind die Sinne der Spinne mit der Welt verbunden und bilden so ihre Welt.

Bild: Cessenon/ Südwestfrankreich (Acrylgemälde 2018)

Die damalige Wahrnehmung
(oder Ent-deckung) löste in mir ein Nachdenken über unsere Netze
und einen schöpferischen Prozess aus.

Ich begann die Welt in Netzen zu denken und zu sehen.

Bild: Rocquebrun/Südwestfrankreich (Acrylgemälde 2018)
Bild: "Minerve"  (Fotografie, 1998)
Bild: Minerve (Linoldruck)
Bild: Rocquebrun/Südwestfrankreich (Bleistiftzeichnung, 2018)
Zitat: Ursula Brandstätter meint, dass wir uns über ein Netz von Ähnlichkeiten in der Welt verankern.
In diesem Sehen und Denken ist mir das ‚Netz‘:
Hypothese der Wirklichkeitserkenntnis,
konstituierendes Merkmal von Wirklichkeit
und Medium der Darstellung von Wirklichkeit.